Drei Übungsleiter-Generationen beim TV Burgfried Linn 1899 e.V.
(Text Petra Verhasselt) (Artikel aus KR-ONE 31.3.2017) (Foto’s Simon Erath) Die allererste Vorwärtsrolle einer Dreijährigen in der Sporthalle am Kohlplatzweg löst bei Susanne Weiße Glücksgefühle aus. Sie weiß, dass die kleine Turnerin damit einen weiteren Entwicklungsschritt gemacht hat und ihr als Übungsleiterin vertraut. Solche Momente sind nicht nur für Susanne Weiße wöchentliche Motivation für ihre ehrenamtliche Tätigkeit im Turnverein Burgfried Linn 1899 e.V. Ihre gesamte Familie ist dort seit Jahrzehnten aktiv als Übungsleiter. Viele der 700 Vereinsmitglieder sagen sogar: „Diese Familie ist der Verein.“
Die Tochter von Gerlinde (74) und Harald Fiedler (85) ist in der Turnhalle großgeworden. Schließlich verbringt das Ehepaar seit 1964 bzw. 1966 einen Großteil seiner Freizeit als Übungsleiter beim TVB. Als Tochter Susanne im März 1966 zur Welt kam, war es kein großer Schritt heraus aus dem Laufstall an die Kletterwand in der Turnhalle. Denn das berühmte Sportler-Gen wurde dem blonden, fröhlichen Mädchen mit in die Wiege gelegt. Und es wurde weiter vererbt. Nachdem Susanne Fiedler ihren späteren Mann Arne beim Badmintonspielen in der Linner Sporthalle kennen- und liebengelernt hatte, kamen bald darauf die Kinder Anna und Ole zur Welt. Heute sind sie 25 und 21 Jahre alt und selbst Übungsleiter. Damit ist die Familie Fiedler-Weiße das Paradebeispiel für alle Ehrenamtler, die sich im Krefelder Breitensport engagieren.
„Die Familie hat es uns vorgelebt. Wir hatten immer schon Spaß daran, anderen Menschen zu helfen, sie anzuleiten und ihnen Freude an der Bewegung zu vermitteln“, sagt Anna Weiße. „Auch die hohe Wertschätzung der Teilnehmer macht uns glücklich“, ergänzt ihr Bruder Ole. Gerlinde und Harald Fiedler sehen das genauso und betonen: „Sport im Verein ist mit einem Jahresbeitrag von rund 90 Euro die preiswerteste und dazu auch gesündeste Therapie für Beweglichkeit im Alter.“ Und Tochter Susanne Weiße fügt hinzu: „Sport baut Stress ab und ist ein toller Ausgleich zum Beruf.“ Sie selbst ist Diplom-Sozialpädagogin in der katholischen Kindertagesstätte Sankt Heinrich. Ganz „nebenbei“ ist sie als Oberturnwartin der Turnabteilung erste Ansprechpartnerin für alle Anliegen. Sie kümmert sich um Übungsleiter-Abrechnungen und die Suche nach neuen Übungsleitern. Außerdem ist Susanne Weiße beteiligt an der Strategieplanung, was neue Angebote im Verein betrifft. Eng ist auch die Zusammenarbeit mit dem Vorstand.
Wie eine zweite Familie
„Der Verein ist für uns wie eine zweite Familie“, sagen alle fünf Familienmitglieder unisono. Die meisten Mitglieder sehen das auch so. Viele sind seit ihrer Jugend dabei. Wie Hubert Jeck. Der heute 68-Jährige hat als Zehnjähriger mit dem Turnen angefangen. Seine besten Freunde hat er in der Handballjugend kennengelernt. Dann sattelte Hubert Jeck um auf Badminton und spielt jetzt jeden Mittwoch nach dem Aufwärmen in der Gruppe von Harald Fiedler und Ole Weiße Indiaka, wo wir ihn bei unserem Besuch treffen. Die Atmosphäre ist ausgelassen, es wird herumgeflachst. „Auch außerhalb der Sporthalle unternehmen wir regelmäßig etwas und fahren einmal im Jahr gemeinsam in den Urlaub. Solche Freundschaften halten“, betont der drahtige ehemalige Gastwirt mit einem bewegten Beben in der Stimme.
Nebenan, in der anderen Häfte der Linner Zweifachsporthalle, hört man zu „Daddy Cool“ von Boney M. die deutlichen Ansagen einer Übungsleiterin. Anna Weiße steht im modernen Fitness-Outfit vor einer Gruppe von rund 40 Frauen zwischen 55 und 84 Jahren. Sie marschiert auf der Stelle und lässt die Arme im Takt der Musik seitlich kreisen. Jede der Damen macht so gut mit, wie sie kann. Die unterschiedliche Fitness der Frauen ist hier kein Problem. Sogar eine Turnschwester, die sich gerade von einem Oberschenkelhalsbruch auskurieren muss, ist auf Krücken gekommen und schaut von der Bank aus zu. In einer kleinen Pause laufen vier Turnerinnen auf sie zu und überreichen ihr eine Topfblume mit einer liebevollen Genesungskarte. Das ist gelebtes Miteinander im Verein – jenseits von Leistungsdruck, aber mit großem Kameradschaftssinn. Genau das schätzen auch Ursula Weyers (62) und Monika Küsters (76) an „ihrem“ TVB: „Bei uns herrscht keine strenge und sture Atmosphäre. Geselligkeit wird groß geschrieben.“ Die wird gelebt bei Karnevalspartys in der Turnhalle, Wanderungen mit Grillabenden in den Sommerferien, am Stand auf dem Linner Weihnachtsmarkt und bei der Fahrt zum Deutschen Turnfest nach Berlin im Juni.
Gerlinde Fiedler, die das Aufwärmprogramm ihrer Enkelin in der hintersten Reihe mit großer Präzision mitgemacht hat, tritt jetzt vor die Gruppe, um den zweiten Teil der 90-minütigen Trainingseinheit zu leiten. Die Frauen haben sich bunte Gymnastikmatten und weiche Pilatesbälle geholt. Jetzt steht die Festigung der Körpermitte auf dem Programm. Weitere 45 Minuten und zig Übungen später hat man den Eindruck, dass niemand wirklich nach Hause möchte. Noch in der Umkleidekabine wird lange erzählt: vom geplanten Urlaub, den Enkelkindern und ob man sich zur Aquafitness am Dienstag wiedersieht. Denn auch das ist ein Angebot des Vereins. Susanne Weiße und ihre Tochter Anna leiten die Kurse im schultertiefen warmen Wasser des Linner Lehrschwimmbeckens. Anna ist sogar ausgebildete Rettungsschwimmerin. Dass Mutter und Tochter, wie alle Übungsleiter, regelmäßig ihr Wissen in Erster Hilfe auffrischen, versteht sich von selbst.
Gemeinsam mit zehn weiteren Übungsleitern, zu denen auch zwei Badmintontrainer gehören, stemmen die fitten Fiedler-Weißes im TVB jede Woche das Programm für rund 700 Mitglieder zwischen zwei und 90 Jahren. Dazu zählen das Mutter-Kind-Turnen, Kinder- und Jugendturnen, Gymnastik für Frauen und Männer, Bodyfit für Erwachsene, Indiaka und Hockergymnastik. Diese Disziplin leitet Gerlinde Fiedler und erklärt, was sich dahinter verbirgt: „Übungsgeräte sind Stühle mit Lehne oder Hocker. Ein Großteil der Stunde findet im Sitzen statt; der Stuhl dient aber auch als Balancehilfe.“
„Ich versuche, unseren Mitgliedern zusätzliches Wissen über den eigentlichen Sport hinaus zu vermittlen, vor allem in Bezug auf präventive Vorsorge, damit sie auch weiterhin fit und gesund durchs Leben gehen können“. Ole Weiße
Besondere persönliche Herausforderung für die Youngster Anna und Ole Weiße sind trotz ihrer mittlerweile rund zehnjährigen Übungsleiter-Erfahrung die Kurse mit älteren Menschen. Ole Weiße sagt dazu: „Ich versuche, ihnen zusätzliches Wissen über den eigentlichen Sport hinaus zu vermittlen, vor allem in Bezug auf präventive Vorsorge, damit sie auch weiterhin fit und gesund durchs Leben gehen können.“ Kein Wunder, er studiert an der Deutschen Sporthochschule in Köln Sport und Biologie auf Lehramt. Seine Schwester Anna, die im November letzten Jahres ihren Master in Business Administration mit dem Schwerpunkt Management und Marketing gemacht hat, ergänzt: „Bei manchen Teilnehmern muss ich auf eventuelle Krankheiten oder altersbedingte Einschränkungen achten. Deshalb gibt es auch immer mal wieder Phasen, in denen ich mich bremsen muss. Viel häufiger aber sind die Momente, in denen mich meine Teilnehmer positiv überraschen, weil sie Übungen oder Choreographien perfekt können, was ich ihnen in dem Tempo nicht zugetraut hatte.“
In Zeiten, in denen das „Wir“ immer mehr zum „Ich“ verkümmert und die digitale Welt für viele wichtiger ist als echte soziale Kontakte, ist die Übungsleiterfamilie Fiedler-Weiße mit „ihrem“ Turnverein Burgfried Linn das Paradebeispiel für eine Freizeitgestaltung mit Herz und Sinn – und positivem Effekt für die Gesundheit.
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